Ein Fehler zum liebhaben Teil 1

„Tina … hol mal Luft“, unterbrach Sven sie in ihrem Redefluss.

Es war wie jedes Mal, wenn er mit Yasemin, die er noch aus seiner Kindheit kannte, weggehen wollte.

„Du hältst uns jedes verdammte Mal diesen Vortrag. Wie oft ist denn bis jetzt etwas passiert? Hmm? Also ich weiß von nichts. Entspann dich doch einfach mal.“

„Ich mache mir eben immer Sorgen um meine Süße, wenn sie nicht in meiner Nähe ist.“

„Das ist ja auch in Ordnung. Aber lass ihr doch mal etwas Freiraum. Du bist manchmal echt noch schlimmer als Nat und sie hat schon ein tierisches Eifersuchtsproblem.“

Nachdenklich sah Tina zu ihrer Frau, die sie mit ihren so vertrauten liebevollen Augen ansah.

„Dürfen wir also endlich los?“, fragte Yasemin vorsichtig.

„Ja“, Tina nickte zustimmend, „geht schon.“

Beide bedankten sich bei ihr, nahmen sie kurz in den Arm und verließen das Haus.

Sie waren kaum auf der Straße, als Tina ihnen noch etwas hinterherrief: „Und wehe, ihr passiert doch irgendwas.“

„Ignoriere es“, kam es leiste von Yasemin, „ansonsten kommen wir gar nicht mehr weg.“

„Ich mag Tina, aber jedes Mal dieses Theater. Das geht mir auf den Zeiger“, sprach Sven als sie außer Hörweite waren, „Es ist ja deine Sache. Aber in diesem einen Moment frage ich mich immer und immer wieder. Was findest du an ihr so toll?“

„Sagt der, dessen Freundin extrem eifersüchtig ist.“

„Nat hat aber nur beim ersten Mal so ein Theater gemacht. Tina macht es jedes Mal. Also für mich ist das schon ein Unterschied.“

„Sie ist eben wie sie ist. Jeder hat seine Macken und das ist nun mal ihre.“

„Nervt es dich denn nicht?“

Yasemin seufzte: „Ab und an tut es das, ja. Aber sie deswegen verlassen? Das finde ich einfach übertrieben. Und ich denke das sollte dir nicht ganz unbekannt sein.“

„Stimmt schon“, Seven nickte zustimmend.

„Wobei ich ja sagen muss, dass Natalie es etwas besser unter Kontrolle hat.“

„Jein. Das sie damals, wo sie uns zusammen gesehen hat, nichts gesagt hatte, lag eher daran, dass sie zurückhaltend ist. Am Abend war dann nicht mehr viel von wegen Kontrolle zu merken. Ignorieren wir mal die Tatsache, dass ich den Großteil nicht verstanden habe“, Sven lachte kurz auf, „wenn sie richtig sauer ist, fängt sie immer an Italienisch zu reden.“

„Vielleicht solltest du die Sprache lernen, dann hättest du das Problem nicht mehr“, Yasemin sah ihn mit einem dicken Grinsen an.

„Habe ich auch schon drüber nachgedacht. Aber im Moment wäre mir das zu viel.“

„Du studierst keine Ewigkeit lang. Danach hättest du dann auch dafür Zeit.“

„Schauen wir mal. Bis dahin vergeht noch etwas Zeit.“

„So viel doch auch nicht. Ich meine du Studierst doch schon eine gefühlte Ewigkeit.“

„Naja genau genommen sind es erst 5 Semester. Ich steh kurz vor der Halbzeit.“

„Wofür du dir das auch immer antust. Ich mein, wer studiert heute noch Physik? Weißt du, ich bin in der Schule vor Langweile eingeschlafen, wenn wir Physik hatten.“

„Bitte du kennst doch meine Eltern. Meinst du etwa die würden es akzeptieren, dass ich mit so einem Pullala Abschluss ankomme? Meine Ma ist schon beleidigt gewesen, weil ich nicht wie sie Psychologie studieren wollte.“

„Verrückt, dass du dich immer noch so von deinen Eltern beeinflussen lässt. Meine haben davon geträumt ich würde Kunst studieren … warum auch immer … ich habe ihnen einen Vogel gezeigt und damit war die Sache erledigt.“

Den restlichen Weg über versuchte Sven seiner besten Freundin zu erklären wieso er den Wunsch seiner Eltern nachgekommen war.

Als sie endlich ihre Stammkneipe, der Bremswagen, erreichten, ging im Westen schon die Sonne unter.

„Sag mal“, fing Yasemin an zu reden, als sie auf den für sie schon üblichen Plätzen saßen, „was ich dich eigentlich immer schon fragen wollte, aber irgendwie immer vergessen habe. Wieso seid ihr eigentlich von hier weggezogen?“

„Als hier die Wirtschaft immer mehr zum Erliegen kam und die ersten abgehauen sind, konnte Ma ihre Praxis nicht mehr halten. Ein halbes Jahr später verlor auch Paps seinen Job und dann standen wir da, mit nichts. Er versuchte alles um einen Job zu finden, aber Pustekuchen. Schlussendlich fand er einen Job in einer anderen Stadt. Und da er keine Lust hatte jeden Tag vier Stunden hin und zurück zu fahren, sind wir in die Stadt gezogen, in der er arbeitet.“

„Also dasselbe wie bei so vielen anderen. Aber wieso bist du zurückgekommen? Du hättest doch auch in eine Studentenwohnung ziehen können“, neugierig sah sie Sven an.

„Klar hätte ich das gekonnt. Aber wieso sollte ich nochmal in eine fremde Stadt ziehen und mich dann auch noch mit irgendwelchen Idioten rumärgern? Evergreen Harbor ist und bleibt meine Heimat. Und die Uni ist nicht weit weg von hier. Somit war für mich sehr schnell klar, dass ich hier nach einer Bleibe suchen würde. Und wenn ich ehrlich bin. Ich hatte Heimweh.“

„Heimweh nach hier?“, sie legte ihren Kopf schief, „Wieso?“

„Naja ich verbinde vieles mit Evergreen Harbor. Wobei der Hauptgrund, warum ich unser neues zu Hause nie akzeptiert habe, wohl du warst. Da kannst du mich jetzt mit riesigen Augen angucken. Es ist schon so wie ich es sage. Bitte, wir kennen uns seitdem wir klein waren. Wir waren unzertrennlich. Und dann kappen meine Eltern das einfach. Ich habe ihnen das Jahrelang noch nachgetragen. Vor allem, weil ich dich ja nicht mal besuchen durfte …“

„Weil der Weg so lang ist. Durfte ich mir auch ständig anhören“, genervt rollte sie ihre Augen.

„Meine Eltern waren auch erst gar nicht erfreut darüber, dass ich hier hinziehen wollte, bis ich ihnen sagte, dass du immer noch hier lebst. Meine Ma war direkt Feuer und Flamme und fing wieder damit an, dass wir doch noch heiraten können.“

„Ne oder? Warum ist deine Mutter eigentlich so besessen davon, dass wir heiraten? Davon hat sie ja schon geträumt als wir noch Kinder waren.“

„Sie glaubt eben daran, dass Freundschaft nur mit demselben Geschlecht funktioniert. Deswegen war und ist sie auch immer noch der Meinung, dass wir für einander bestimmt sind.“

„Ähm … kleine Frage. Das ich verheiratet bin und dass du eine Freundin hast, das interessiert sie nicht? Oder weiß sie es nicht?“

„Sie weiß es. Aber deine Ehe hält sie nur für eine Verwirrtheit deiner Seitz.“

„Okay und Natalie?“

Sven schüttelte seinen Kopf: „Das willst du nicht wissen.“

„Was ist passiert?“

„Eigentlich bin ich mit Nat dahin um ihr einfach zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meine. Sie war somit die Erste, die meine Eltern kennengelernt hat. Tja, am Anfang lief noch alles recht gut, bis meine Ma mich zur Seite nahm und mich fragte, was ich mit dem jungen Ding will. Ich sagte ihr, dass ich sie liebe und sie in meinen Augen die richtige ist. Darauf fing sie nur an zu lachen und meinte, dass deine Verwirrtheit auf mich abfärben würde und wir endlich dazu stehen sollen, dass wir zusammengehören. Von da an nutze sie jede Gelegenheit um Nat einzutrichtern, dass sie nur eine Notlösung sei und nicht mehr.“

„Und dein Papa hat dazu nicht gesagt?“

„Hat er. Er hat sie immer wieder darum gebeten nicht so gemein zu Nat zu sein, interessiert hat es sie aber nicht.“

Geschockt davon griff Yasemin nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug.

„Deine Mutter spinnt“, mit einem rums stellte sie ihr Glas ab, „anders kann ich es nicht sagen.“

„Ach weißte, das ist mir schon länger bewusst.“

„Und wie hat es Natalie aufgenommen?“

„Während der Fahrt nach Hause hat sie nur ein einziges Mal gesprochen. Und auch nur, dass sie zu sich nach Hause will. Da waren wir auf halben Weg hier hin. Ich habe sie nach Hause gebracht und von da an habe ich fast drei Wochen nichts mehr von ihr gehört. Wobei ich mal denke, dass ich ohne ihre Mutter gar nichts mehr von Nat gehört hätte. Leider hat sie meiner Ma alles geglaubt.“

„Deswegen erzählst du ihr auch nie von unseren Treffen alle zwei Woche.“

„Von den Treffen weiß sie schon. Nur das du danach bei mir schläfst, davon weiß sie nicht. Was dann in ihrer Vorstellung los wäre muss ich nicht Erläutern, oder?“

„Ne nicht wirklich“, Yasemin atmete tief durch, „Warum haben wir uns beide eigentlich so schwere Partner ausgesucht?“

„Vielleicht ist das ja der Hinweis darauf, dass meine Ma doch recht hat“, Sven konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Natürlich das muss es sein, ich werde direkt Montag die Scheidung einreichen … willst du eigentlich lieber im Sommer oder Winter heiraten? Ich muss ja schon mal planen.“

„Wie? Ich habe kein Mitspracherecht?“

„Du kannst zwischen Sommer und Winter wählen.“

„Wow diese Großzügigkeit …“

„Also wann jetzt?“

„Frühling.“

„Na also so nicht. Entweder so wie ich es will oder gar nicht.“

„Einigen wir uns doch einfach auf gar nicht?“, es kostete ihm alle Mühe, nicht los zu lachen.

„Wahrscheinlich ist es wirklich besser. Wenn wir uns schon nicht auf eine Jahreszeit einigen können, wer weiß wo wir uns noch alles unterscheiden. Meinst du meine Mutter wird es verkraften?“

Sven konnte sich nicht mehr beherrschen und prustete los. Yasemin stimmte in sein Lachen ein.

Sie konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen und wenn doch, reichte ein kleiner Blick und die beiden finden wieder an los zu gibbeln.

Das ging noch Stunden so weiter. Mit jedem Glas was sie mehr leerten, wurde es immer schlimmer.

An einer vernünftigen Unterhaltung war nicht mehr zu denken. Sie blödelten nur noch rum.

Kurz nach drei Uhr wurden sie von dem Besitzer der Bar rausgeschmissen. Sie waren die letzten Gäste die er hatte und er wollte langsam schließen.

Gut gelaunt wie Sven war, übernahm er die gesamte Rechnung.

„Danke, aber das hättest du jetzt echt nicht machen müssen. Im Gegensatz zu dir habe ich ein festes Einkommen“, sprach Yasemin mit klarem Verstand, die kalte Nachtluft hatte den Nebel in ihrem Kopf beseitig.

„Mach dir deswegen mal keine Sorgen … ich komm schon rum.“

„Dann mach ich es beim nächsten Mal wieder gut.“

„Wenn uns dein Wachhund dann überhaupt lässt“, scherzte Sven.

„Hey, jetzt sei nicht so gemein zu ihr.“

„Ich bin doch nicht gemein … sag mal, wedelt sie eigentlich mit dem Schwanz, wenn du nach Hause kommst?“

„Sven!“

„Jo, anwesend.“

„Ich glaube die letzten Gläser sind dir nicht so bekommen.“

„Ähm … wieso?“

„Weil du nur noch Blödsinn redest.“

„Blödsinn? Nicht die Bohne. Ich könnte dir immer noch die Entstehung des Universums erklären.“

„Na dann“, sie umfasste seine Hand die auf ihrer Schulter ruhte und zog sachte daran, damit er sich bewegte.

Stolpernd lief er los und blieb nur auf den Beinen, weil Yasemin in fest heilt.

„Interessiert es dich denn nicht?“

„Was?“

„Die Entstehung.“

„Es kommt doch eh nichts Gescheites dabei rum, aber bitte. Tu dir keinen Zwang an.“

Sven räusperte sich, ehe er sprach: „Vor vielen … vielen Jahren gab es einen mächtig lauten Knall … Tada, das Universum war da.“

„Dein Professor wäre begeistert“, während sie sprach schüttelte sie ihren Kopf, „es ist jedes Mal das gleiche mit dir. Ein, zwei Gläser zu viel und du redest nur noch irgendwelchen Schwachsinn.“

„Nat sagt ich sei intelligent.“

„Nüchtern, vielleicht, aber so wie jetzt? Bestimmt nicht.“

„Willst du etwa sagen sie lügt?“

„Nein, ich will lediglich damit sagen, dass sie dich so nicht kennt. Bist in ihrer Gegenwart ja immer der anständige Schmusehase.“

„Höre ich da etwa Neid aus dir?“

„Wie kommst du bitte auf den Mist?“

„Na wer weiß, vielleicht hatte meine Ma ja doch recht und du bist voll verrückt nach mir.“

Yasemin verdrehte ihre Augen: „Sven du gehörst definitiv ins Bett, um deinen Rausch auszuschlafen.“

„Wieso unterstellst du mir, dass ich betrunken sei?“

„Weil du es bist und jetzt halt die Klappe und lauf. Ich habe keine Lust, dass wir erst in zwei, drei Stunden bei dir sind.“

Noch den gesamten restlichen Weg redete Sven irgendwelchen Kokolores.

Yasemin war sichtlich erleichtert, als sie endlich vor der Tür seiner Wohnung standen.

Sie schloss die Tür auf und zog Sven hinter sich her, der die Tür zu schmiss.

„Ich bin zu Hause“, schrie er aus vollem Halse.

„Spätestens nachdem du die Tür zugeschmissen hattest, wusste jeder, dass du zu Hause bist“, tadelte ihn seine Kindheitsfreundin.

„Ach die sind doch auch nicht besser“, er zog seine Jacke aus und warf sie aufs Sofa, „und was machen wir hübschen jetzt?“

„Ins Bett gehen.“

„Sicher?“, er näherte sich Yasemin, die vor der Badezimmertür stand.

Seine blauen Augen fixierten sie und ehe sie reagieren konnte, packte er ihre Handgelenke und drückte sie gegen die Tür. Sein Gesicht näherte sich ihrem immer mehr, sie konnte seinen nach Alkohol riechenden Atem auf ihrem Gesicht spüren. Yasemin wollte etwas sagen, doch bevor sie dazu kam, berührten seine Lippen die Ihrigen.

In diesem Moment durchfuhr ihren Körper ein Gefühl, das sie so nicht kannte. Es war so ganz anders als wen Tina sie küsste.

Berauscht von diesem Gefühl schlang sie ihre Arme um Sven, als dieser sie los lies.

Sven sah ihr Verhalten als Bestätigung und drängte sie ins Schlafzimmer. Auf den Weg dahin hatte sie ihre Jacke sowie Oberteil verloren. Und auch Svens T-Shirt lag irgendwo auf dem Weg.

Getrieben von einem einzigen Verlangen ließ sich Yasemin auf sein Bett fallen und wartete sehnlichst darauf, dass er sich zu ihr gesellte.

Sie wusste nicht, was sie dazu trieb. War es der Alkohol oder war es dieses besondere Gefühl? Jede Berührung von Sven sorgte für ein Kribbeln auf ihrer Haut: Etwas, was sie bei Tina noch nie so intensiv gespürt hatte.

Entzückt von dieser wunderbaren Empfindung trieb sie ihren besten Freund dazu, mit ihr zu schlafen, etwas, was er bei klarem Verstand nie getan hätte.

Weiter mit Teil 2